Durch die Luft zieht einsam ein Adler. Ich schaue hinauf zu diesem königlichen Geschöpf, muss meinen Blick nur Zehntelsekunden später wieder abwenden. Zu grell fällt das Sonnenlicht in mein Auge. Die schnellen Kopfbewegungen überfordern den strapazierten Kreislauf, schummrig unterbreche ich den strammen Schritt, der mich seit mehr als acht Stunden auf dem Bright Angel Trail trägt. Als sich der unter Strapazen ächzender Körper kurzzeitig erholt, kann ich mich noch einmal umdrehen und den Blick schweifen lassen. Ganz weit dahin liegt der Plateau Point, wo wir noch vor einigen Stunden standen. Mitten im Grand Canyon.
Es ist Hochsommer. Hochsommer am frühen Nachmittag. Hochsommer in Arizona. Die Luft im Grand Canyon National Park flimmert. Wer das Geschenk eines Tages unkomprimierter Canyon-Erfahrung in den frühen Morgenstunden annahm, bezahlt es nun mit Schweiß, treibt seinen Körper an die Grenzen des Ertragbaren. Der Zeiger des Thermometers bedeutet staubverhangen Temperaturen von über 50 Grad. Der aufgewirbelte Dunst des Pfades trocknet den Schweiß auf unseren Beinen, ehe dieser von neuem zu fließen beginnt. Der Kreislauf der Erschöpfung.
Erst runter, dann rauf
Keine zwei Stunden brauchte es, da hatten wir den Plateau Point erreicht. In der morgendlichen Dämmerung waren wir den Trail geradezu hinunter geflogen. In unserer Eile – der Kühle wegen – versuchten wir zu vermeiden, der atemberaubenden Szenerie um uns herum im Verweilen zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Die Schilder hatten uns ja gewarnt. Wir mussten doch noch wieder hoch. Da bliebe dann mehr als genug Zeit für den vollen Genuss des Canyons. Sich dem Spektakel allerdings komplett zu verschließen ist gleichermaßen töricht wie unmöglich. Schon beim ersten Schritt auf den Pfad wird man ergriffen von der Magie, die in diesem Wunder der Natur mitschwingt. Die Nacht versucht mit letzter Kraft, die ungeheure Weite zu verschleiern. Mehr und mehr gewinnt das Tageslicht den Kampf gegen die Dunkelheit.
Reise durch die Erdgeschichte
Noch immer ist es still. Das Rascheln der Eichhörnchen im Gebüsch, das Zetern einiger Krähen ob dem nahenden Ende der Kühle der Nacht waren lange die einzigen Geräusche, die uns vor dem Irrglauben bewahrten, die einzigen Lebewesen hier zu sein. Immer flacher wird das Areal nun, immer näher rückt das Ziel. Inzwischen hat die Sonne die Dunkelheit verdrängt, Wolken haben am endlos blauen Himmel keine Chance.
Die blitzschnellen Bewegungen am Wegrand lassen sich zuerst nur schwer zuordnen. Erst ein zwei- und dreifaches Hinsehen entlarvt den Störenfried. Eine Klapperschlange präferiert angesichts unserer kleinen Wandergruppe den gebührenden Abstand. Es soll uns recht sein. Die immer dünner werdende Vegetation kommt einem sich öffnenden Vorhang gleich. Die letzten Meter auf dem Weg zu unserem Ziel sind der demütige Gang auf die große Bühne der Natur. Wahllos kreisen möchte man hier auf dem Plateau Point. Das Auge scheitert ohne den Hauch einer Chance, die Details dieses 360°-Panoramas zu registrieren. Die endlose Weite erschlägt den zum Zwerg geschrumpften Menschen.
Der lange Weg zurück
Der kräftezehrende Weg zurück lässt uns spüren, warum. Immer heißer wird es, immer verzweifelter und in kürzeren Abständen erfolgt der Griff zur Wasserflasche. Es ist auch der Reiz der Anstrengung, der Überwindung des inneren Schweinehundes, der diese Herausforderung unvergesslich macht. Mehr als acht Stunden sind wir inzwischen unterwegs. Das Ziel versteckt sich weiter hinter zahllosen Serpentinen, die wir uns hinauf schleppen. Immer wieder drohen die Kräfte zu versagen. Das beste Mittel dagegen ist längst gefunden. Das stille Verweilen an einem der faszinierendsten Orte, den das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu bieten hat. Seine Ewigkeit wiegt jeden individuellen Kampf durch reine Ästhetik auf.